08.06.2020: Interpellation «Überprüfung der Fussgängerstreifen auf Kantonsstrassen – Ist das Ergebnis immer im Sinne des Auftrags?»
Nachdem die Anzahl Fussgängerinnen und Fussgänger, die bei einem Verkehrsunfall im Kanton Bern ums Leben kamen, über mehrere Jahre gesunken war, kam es im Jahr 2011 zu einem Anstieg. Darauf sprachen sich der Grosse Rat(1) und der Regierungsrat(2) für eine systematische Überprüfung der rund 3’000 Fussgängerstreifen auf Kantonsstrassen aus. Nach einer Grobanalyse zeigte sich, dass wegen Nichterfüllung der Sicherheitsnormen bei etwa einem Fünftel der Fussgängerstreifen Handlungsbedarf bestand. In der Folge nahm der Regierungsrat Massnahmen an die Hand, um die Sicherheitsmängel zu beheben: je nach Situation die Anpassung des Fussgängerstreifens resp. seiner Lage, seiner Beleuchtung, seiner Umgebung etc. – oder aber die Aufhebung des Fussgängerstreifens.
Die Aufhebung von Fussgängerstreifen, auch wenn sie im Einzelfall grundsätzlich nachvollziehbar sein mag, kann in ihrer Gesamtheit zu unzufriedenstellenden Situationen führen: So wurden im Dezember 2019 auf der Seestrasse in Merligen sieben von elf Fussgängerstreifen entfernt, auf einer Strecke von 1.4 km gibt es keinen einzigen Fussgängerstreifen mehr – und das auf einer im Sommer stark befahrenen Strasse mit Tempo 50. Eine solche Strasse ohne Vortrittsrecht zu queren, ist bei entsprechender Verkehrslage sehr schwierig. Bauliche Massnahmen und Signalisationen wie Fussgängerstreifen reduzieren das Geschwindigkeitsniveau der Fahrzeuge. Ohne Fussgängerstreifen aber fällt und sinkt die Verpflichtung der Fahrzeuglenkenden, auf Zufussgehende zu achten und anzuhalten, wenn diese queren wollen. Somit wird die gesamte Verantwortung für die Querung auf die Zufussgehenden geschoben. Nicht zuletzt entsteht so ein neues Risiko: ab einer Wartezeit am Strassenrand von etwa einer halben Minute neigen Zufussgehende dazu, Querungsversuche zu starten, auch wenn fraglich ist, ob dazu eine ausreichend grosse Lücke besteht. Im Mai 2020 kam es in Merligen an einer der Stellen, wo Fussgängerstreifen aufgehoben wurden, zu einem Zwischenfall, bei dem ein Campingwagen einen Fussgänger streifte. Zudem befinden sich auf der erwähnten 1.4 km langen Strecke acht Bushaltestellen; die Busfahrgäste müssen die Strasse queren können.
Im Zuge der Überprüfung aller Fussgängerstreifen wurde auch die Aufhebung von Fussgängerstreifen in Tempo-30-Zonen geprüft und teils umgesetzt. Im Rahmen der Sanierung der Ortsdurchfahrt von Frutigen erarbeitete der Kanton ein Konzept, das auf durchgehend Tempo 30 setzte und sich damit dem Entwurf des Verkehrsrichtplans mit flächendeckendem Tempo 30 im Kern anschloss. Im November 2017 sprach sich der Gemeinderat von Frutigen noch dafür aus, die Senkung der Höchstgeschwindigkeit auf der Ortsdurchfahrt von Tempo 50 auf 30 gemäss den kantonalen Plänen zu unterstützen. Das kantonale Konzept beinhaltete die Entfernung aller Fussgängerstreifen auf der Ortsdurchfahrt und als Ersatz einen Mittelstreifen auf einem Teil der Strecke. Ein halbes Jahr später sprach sich der Gemeinderat aufgrund einer Petition und zum Bedauern der kantonalen Planer dafür aus, doch bei Tempo 50 zu bleiben. Das Projekt passte sich diesem Wunsch geringfügig an, Fussgängerstreifen wurden aber nicht wiederhergestellt.
Der Regierungsrat wird um Beantwortung folgender Fragen gebeten:
- Worin bestanden die Ziele der vom Regierungsrat in Auftrag gegebenen Überprüfung aller Fussgängerstreifen auf Kantonsstrassen?
- Wie wird der Erfolg der Massnahmen erhoben? Wie haben sich die Unfallzahlen auf Fussgängerstreifen entwickelt, die die sog. Big Five(3) erfüllen (unterteilt nach Fussgängerstreifen, die die Big Five schon vor der Überprüfung erfüllten, und solchen, die sie erst nach einer Anpassung im Zuge der Überprüfung erfüllen)?
- Etliche Fussgängerstreifen wurden aufgehoben, weil man die zur Verbesserung ihrer Sicherheit nötigen Massnahmen als unverhältnismässig einstufte. War bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit ein Kriterium, wie viele weitere Fussgängerstreifen in der Nähe bzw. auf derselben Strasse sonst noch vorhanden sind?
- War ein Kriterium, ob sich ÖV-Haltestellen in der Nähe befinden, so dass ein Bedürfnis für sicheres Queren seitens der ÖV-Fahrgäste besteht?
- Was sind Beispiele für knapp als unverhältnismässig eingestufte Massnahmen, mit denen die Sicherheit eines Fussgängerstreifens hergestellt werden könnte?
- Ist ein Ergebnis mit Massenaufhebungen von Fussgängerstreifen, wie es nun auf der Seestrasse in Merligen oder auf der Ortsdurchfahrt von Frutigen entstanden ist, im Sinne des ursprünglichen Auftrags, dessen Ziel die Erhöhung der Sicherheit für Fussgängerinnen und Fussgänger war? Die Frage stellt sich umso mehr, wenn Schulwege oder Zugänge zu (Alters-)Heimen über die betroffene Strecke führen.
- Muss der Auftrag dahingehend nachjustiert werden, dass Situationen vermieden werden, in denen auf einer langen Innerortstrecke mit Tempo 50 oder höher überhaupt keine Fussgängerstreifen mehr vorhanden sind?
(1) https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-da050d033cc94670a3d946ec63fdc9a8.html
(2) https://www.rr.be.ch/rr/de/index/rrbonline/rrbonline/suche_rrb/beschluesse-detailseite.gid-212341917c2140c69a399f2f9cd7b96a.html
(3) https://www.bfu.ch/media/3u4hnhzj/fussgaengerstreifen.pdf
Titel: Überprüfung der Fussgängerstreifen auf Kantonsstrassen – Ist das Ergebnis immer im Sinne des Auftrags?
Art des Vorstosses: Interpellation
Sprecher: Casimir von Arx
Weiter Urheber:innen (5): Andrea Zryd (SP), Ueli Frutiger (BDP), Martin Egger (glp), Madeleine Amstutz (SVP), Tanja Bauer (SP)
Status der Bearbeitung & version française: siehe Website des Grossen Rates (falls dieser Direktlink nicht mehr funktioniert, bitte direkt auf der Seite des Grossen Rates unter www.gr.be.ch suchen; der Vorstoss trägt in der Systematik des Grossen Rates die Geschäftsnummer «2020.RRGR.216»)