Abgangsentschädigungen - ein unliebsames Thema im Könizer Wahlkampf
Man tut dem Könizer Grossrat Ueli Studer wohl nicht Unrecht, wenn man das Timing seiner kantonalen Motion «Kostenoptimierung bei der Sozialhilfe» mit dem Könizer Wahlkampf in Verbindung bringt. Studer, der auch als Könizer Sozialdirektor amtet, forderte darin im Kern, dass bestimmte Leistungen der Sozialhilfe – Grundbedarf für den Lebensunterhalt, situationsbedingte Leistungen und Integrationszulagen – um durchschnittlich 10 Prozent gekürzt werden. Stein des Anstosses ist, dass in Einzelfällen Familien, die Sozialhilfe beziehen, mehr Geld zur Verfügung haben als Familien, die keine Sozialhilfe beziehen.
Auch wenn man diskutieren kann, welche Signalwirkung dieser Sachverhalt hat, so ist Studers Motion doch ein erstaunliches Wahlkampfvehikel: Der Motionär hat den Ruf, offen für soziale Nöte zu sein und gilt u. a. deshalb als gemässigter SVPler. Dies dürfte ihm bisher auch bis über die politische Mitte hinaus Sympathien und Stimmen eingebracht haben. Dass er nun ausgerechnet im Wahlkampf diesen Ruf riskiert und damit seine Wahl ins Gemeindepräsidium unwahrscheinlicher macht, ist eine bemerkenswerte Strategie. – Die Könizer Wählerinnen und Wähler werden entscheiden, ob sie aufgeht.
Gemeinsam mit seinen Fraktionskolleg(inn)en aus der SVP, der BDP, der FDP und der EDU konnte Studer seiner Kernforderung in der Septembersession des Grossen Rates zum Erfolg verhelfen. Die SP reagierte darauf mit einer Liste jener Grossrätinnen und Grossräte, die nicht nur Studers Motion angenommen, sondern sich wenige Wochen zuvor auch für die Erhöhung der Grossratsentschädigungen ausgesprochen hatten. Die Kombination dieser Entscheide ist in der Tat fragwürdig, wenn man auch anfügen muss, dass die Erhöhung der Grossratsentschädigungen unter dem Strich geringer ausfällt, als man aufgrund der Schlagzeilen meinen könnte.
Von der Kantonalpolitik in die Gemeinde Köniz: Auch hier gibt es in letzter Zeit Diskussionen über die Entlöhnung der Politikerinnen und Politiker, insb. über die Abgangsentschädigungen der Mitglieder des Gemeinderats (Exekutive). Die Berner Zeitung (BZ) griff das Thema mit zwei Artikeln auf, in denen es einerseits um die Abgangsentschädigungen des scheidenden Gemeindepräsidenten Luc Mentha (SP) und andererseits um die Könizer Abgangsentschädigungen im Allgemeinen ging.
Die Einzelheiten zu den Abgangsentschädigungen sind im Könizer Abgangsreglement festgelegt. Scheidet ein Mitglied des Gemeinderats aus dem Amt aus, erhält es, je nach Alter, Anzahl Dienstjahre und dem Grund des Abgangs eine Abgangsentschädigung. Bei Nichtwiederwahl beträgt sie 80 Prozent des bisherigen Lohnes während sechs Monaten und je nach dem 55 Prozent des bisherigen Lohnes für weitere Monate. Bei den aktuellen Gemeinderatslöhnen sind dies 103'645 Franken pro Jahr (55 Prozent) bzw. 150'757 Franken pro Jahr (80 Prozent). Dieser Betrag wird erst gekürzt, wenn das Einkommen des ehemaligen Gemeinderatsmitglieds inkl. Abgangsentschädigung das aktuelle Gemeinderatsgehalt, zurzeit 188'446 Franken pro Jahr, überschreitet.
Wer bis hier gelesen und dabei womöglich die Stirn gerunzelt hat, dürfte sich die Augen reiben angesichts der Regelung, wie lange diese Entschädigungen ausbezahlt werden. Hierüber geben die beiden Tabellen am Ende des Abgangsreglements Auskunft. Typischerweise kann man wohl sagen, dass die Abgangsentschädigungen während 60 Monaten, also während fünf Jahren ausgerichtet werden. Das Maximum liegt sogar bei acht Jahren. Das sind, bei Nichtwiederwahl, bis zu 850'000 Franken (!).
Man muss kein Experte sein, um zu sehen, dass derartige Abgangsleistungen weit über dem liegen, was gewöhnliche Arbeitnehmende bspw. im Fall einer Kündigung erwarten können. (Wie der erste BZ-Artikel zeigt, ist es auch mehr, als gewöhnliche Gemeinderäte bei ihrem Abgang erwarten können.)
Zu einer sachlichen Analyse der Abgangsentschädigungen gehört aber, dass man auch die Unterschiede zwischen dem Abgang eines Gemeinderatsmitglieds und der Kündigung gewöhnlicher Arbeitnehmender betrachtet:
- Bei unerwarteter Abwahl kann es sein, das ein Gemeinderatsmitglied innert weniger Wochen, meines Wissens per 1. Januar, das Büro räumen muss (in Köniz finden die Wahlen Ende November statt). Das ist eine kurze Frist für einen solchen Job; anders als bspw. Gemeinde- und Kantonsparlamentarier beziehen Gemeinderatsmitglieder ihren Haupterwerb aus der politischen Tätigkeit. Eine finanzielle Abfederung im Rahmen einer üblichen Kündigungsfrist scheint mir nicht ausgeschlossen. Allerdings nur bei unerwarteter Abwahl: Ein besonders stossendes Element des Abgangsreglements ist nämlich, dass auch eine Abgangsentschädigung entrichtet wird, wenn ein Gemeinderatsmitglied aufgrund der Amtszeitbeschränkung (nach 12 Jahren kann man nicht mehr antreten) aus dem Amt ausscheidet. Der Termin für einen Abgang aufgrund Amtszeitbeschränkung ist im Normalfall vier Jahre im Voraus bekannt. Es scheint mir zumutbar, dass sich Gemeinderatsmitglieder, wenn der Termin näher rückt, neben ihrem 80-Prozent-Pensum (ich weiss, in der Realität ist es etwas mehr) um ein neues berufliches Engagement kümmern.
- Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, die vor Antritt ihres Amtes in einem hochspezialisierten Beruf gearbeitet haben, können in diesen nicht mehr (ohne Weiteres) zurückkehren. Nach mehr als einer Legislatur im Gemeinderat dürfte man, je nach Job, fachlich weg vom Fenster sein. Meist liegt aber auch kein Ausweg darin, nach dem Gemeinderatsmandat ein weiteres politisches Exekutivamt zu übernehmen. Ich bin der Ansicht: wer in einem hochspezialisierten Beruf arbeitet und sich für ein Gemeinderatsamt bewirbt, muss damit rechnen, nicht mehr in diesen Beruf zurückkehren zu können. Das Gemeinderatsamt in der zwölftgrössten Gemeinde der Schweiz (Stand 2010) bringt aber auch gewisse Vorteile mit sich, die für die weitere berufliche Perspektive von Vorteil sind. Namentlich kann man hier ein verantwortungsvolles Amt mit einer grossen Führungsspanne ausüben und ein Beziehungsnetz knüpfen, das beim beruflichen Fortkommen nach der Zeit als Gemeinderat weiterhelfen könnte. Ob diese Vor- und Nachteile unter dem Strich für eine Abgangsentschädigung sprechen, ist diskutabel. Für sechsstellige Beträge sprechen sie aber gewiss nicht.
- Oft wird gesagt, man finde ohne die entsprechenden finanziellen Anreize keine geeigneten Personen. Zunächst: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Kandidatinnen und Kandidaten primär wegen des Lohns und erst recht nicht wegen der Abgangsentschädigungen in den Könizer Gemeinderat wollen. Vielmehr handelt sich dabei schlicht um einen spannenden Exekutivjob. Köniz ist auch keine Kleinstgemeinde, die händeringend nach politischem Personal suchen muss. Und schliesslich steht Köniz im Vergleich zu anderen Gemeinden, aber auch zur Privatwirtschaft, keineswegs unter Zugzwang, so hohe Abgangsentschädigungen zu bezahlen. Im Gegenteil: Die Gemeinde Köniz sollte sich vielmehr fragen, ob sie nicht andere Gemeinden in Zugzwang bringt, ebenfalls solche Entschädigungen einzuführen.
- Auch gewöhnliche Arbeitnehmende sind nach einer Kündigung nicht gleich auf sich gestellt, sondern können Arbeitslosentaggeld beziehen. Das dürfte aber auch für ehemalige Gemeinderatsmitglieder gelten, wenn die Abgangsentschädigungen, die monatlich bezahlt werden, einmal ausgelaufen sind. Es ist demnach nicht so, dass man die Arbeitslosentaggelder, die im Übrigen an Bedingungen geknüpft und in jedem Fall tiefer als die Abgangsentschädigungen sind, als Gegenstück zu den Abgangsentschädigungen bezeichnen kann.
Für mich ist das Fazit dieser Analyse, dass es keinen sachlichen Grund für derart hohe bzw. lange Abgangsentschädigungen gibt, wie sie zurzeit in Köniz zur Anwendung kommen. Mein Hauptargument ist dabei die massive Ungleichbehandlung gegenüber gewöhnlichen Arbeitnehmenden. Ich halte die Könizer Abgangsentschädigungen daher, insb. aufgrund ihrer Dauer, als überdimensioniert und unverhältnismässig.
Nun zurück zum Könizer Wahlkampf: Man könnte jetzt fragen, wie sich eine Abgangsentschädigung, von der nach heutigem System auch Ueli Studer einmal profitieren würde, mit der Senkung der Sozialhilfe verträgt. Das halte ich aber nicht für die pikanteste Frage. Vielmehr erstaunt nämlich die Haltung der SP. Gemäss Parteipräsident Christoph Salzmann (siehe zweiter BZ-Artikel) hat die SP das Thema nicht intensiv diskutiert. Er verweist zudem auf die Gemeindeordnung, in der die Stimmbevölkerung einst grundsätzlich Ja zu den Abgangsentschädigungen gesagt hat. Dort steht allerdings nur Folgendes:
Art. 27: Der Anspruch der Mitglieder des Gemeinderates auf eine Abgangsentschädigung richtet sich nach dem entsprechenden Reglement.
Es fällt schwer, hieraus die Zustimmung zu Abgangsentschädigungen von bis zu 850'000 Franken abzuleiten. Erstaunlich zurückhaltend gibt sich auch der SP-Kandidat fürs Gemeindepräsidium, Hugo Staub. Er schreibt auf seiner Wahl-Website zwar, «eine Überprüfung der Bestimmungen» [über die Abgangsentschädigungen] sei sinnvoll, bleibt aber vage und macht insgesamt keineswegs den Eindruck, sich ernsthaft am Umfang der Könizer Abgangsentschädigungen zu stören – wenn ein Politiker etwas ändern will, drückt er sich normalerweise anders aus.
Warum ich gerade die SP herauspicke? Normalerweise ist sie es, die an vorderster Front gegen überrissene Abgangsentschädigungen in der Privatwirtschaft wettert. Die Abstimmung über die Abzocker-Initiative liegt noch nicht weit zurück, die SP-Delegierten haben sehr deutlich die Ja-Parole zu dieser Initiative beschlossen, die bekanntlich in bestimmten Fällen Abgangsentschädigungen gesetzlich verbietet. Zudem wirbt die SP seit Längerem mit dem Slogan «Für alle statt für wenige» (französische Version: «Pour tous, sans privilèges»). Wenn es aber konkret um ein finanzielles Privileg für ganz wenige geht, noch dazu in Form von steuerfinanzierten Abgangsentschädigungen, übt sich die SP in Zurückhaltung.
Nach der Thematisierung der Abgangsentschädigung durch die BZ im Frühjahr hätte man meinen können, dass sich die Könizer Parteien genauer mit dem Thema auseinandersetzen. Bis in die Wahlbroschüre haben es die Abgangsentschädigungen dann aber nur bei den Grünliberalen geschafft. Dahinter steht keine Extremhaltung: Die guten Löhne, die im Gemeinderat bezahlt werden, sind der Aufgabe und der Verantwortung angemessen. Und auch bei der glp sieht man durchaus Argumente für Abfederungsmassnahmen in den ersten Monaten nach Abgang aus dem Amt (siehe oben). Gemeinderätinnen und Gemeinderäten, die aus ihrem Amt ausscheiden, sollen die Voraussetzungen gegeben werden, um durch eigenen Einsatz wieder beruflich Fuss zu fassen, wenn sie das wünschen. Wenn wir kompetente Persönlichkeiten im Gemeinderat haben, müssen wir ihnen eine Perspektive geben. Eine Vollkaskoversicherung auf Kosten der Allgemeinheit brauchen sie hingegen nicht.