01.09.2025: Dringliche Motion «Digitale Gesundheitsplattform Kanton Bern: die Wahl der Software muss offenbleiben»
Antrag:
- Der Regierungsrat ergreift die ihm zur Verfügung stehenden Massnahmen, damit keine weiteren vollendeten Tatsachen geschaffen werden, welche den Grossen Rat als Gesetzgeber de facto dabei einschränken würden, eine digitale Gesundheitsplattform für den Kanton Bern einführen zu lassen, die auf einem anderen Produkt als Epic basiert bzw. die die Wahl des Produkts für die Leistungserbringer offenlässt.
- Der Regierungsrat legt dem Grossen Rat zusammen mit der Revision des Spitalversorgungsgesetzes eine belastbare Kostenschätzung der direkten und indirekten Kosten für die Einführung einer auf Epic basierenden digitalen Gesundheitsplattform bei den Listenspitälern (getrennt nach solchen mit und ohne Mehrheitsbeteiligung des Kantons) sowie für die Anbindung der ambulanten Leistungserbringer (z. B. Heime, Spitex-Organisationen und Arztpraxen) vor.
- Der Regierungsrat legt dem Grossen Rat zusammen mit der Revision des Spitalversorgungsgesetzes genau dar, welche Rolle die Insel Gruppe im Berner Gesundheitssystem einnehmen würde, wenn eine digitale Gesundheitsplattform auf Basis von Epic von der Insel Gruppe geschaffen würde. Die Darstellung beinhaltet auch die Kostenflüsse zwischen der Insel Gruppe und den anderen Leistungserbringern.
Begründung:
Bis am 19. September 2025 läuft die Vernehmlassung für die Revision des Spitalversorgungsgesetzes (SpVG).(1) Der Regierungsrat möchte mit der SpVG-Revision insbesondere die gesetzliche Grundlage für die Einführung einer kantonalen Gesundheitsplattform schaffen. Damit möchte der Regierungsrat – richtigerweise – den Datenaustausch und die Vernetzung zwischen den Akteuren und Akteurinnen des Gesundheitswesens stärken.
Zu diesem Zweck möchte der Regierungsrat in einem ersten Schritt für die Listenspitäler mit Mehrheitsbeteiligung des Kantons Bern ein einheitliches Klinikinformationssystem (KIS) festlegen können. Das festgelegte KIS soll von allen Listenspitälern im Kanton Bern eingeführt werden. In einem zweiten Schritt sollen auch die ambulanten Leistungserbringer an die digitale Gesundheitsplattform angeschlossen werden. Der Kanton soll den Aufbau der digitalen Gesundheitsplattform und der Betreiberorganisation sowie die Einführung des festgelegten KIS in den Listenspitälern finanziell in noch unbestimmter Höhe unterstützen.
Aus dem Vortrag zur Vernehmlassungsvorlage geht hervor, dass der Regierungsrat das von der Insel Gruppe eingeführte KIS des amerikanischen Software-Anbieters Epic Systems, kurz: «Epic», als Grundlage für die digitale Gesundheitsplattform festlegen möchte.(2)
In den theoretischen Ausführungen im Vortrag klingt dies alles hervorragend, beinahe wie in einem Werbeprospekt für Epic. Diese Darstellungen kontrastieren indes markant mit Erfahrungen mit Epic ausserhalb und teilweise auch innerhalb der USA(3):
- Eine Studie basierend auf den praktischen Erfahrungen von 1933 Ärztinnen und Ärzten in der Schweiz kommt zum Ergebnis, dass Epic in Bezug auf Ladezeiten, unnötige Warnungen, Verhinderung fehlerhafter Dateneingaben und Leichtigkeit der internen Zusammenarbeit sowie Unterstützung bei der effizienten Arbeit schlecht abschneidet, insbesondere deutlich schlechter als die Schweizer Software KISIM.(4) Bemerkenswert dabei ist, dass Epic in der Schweiz zurzeit nur in der Insel Gruppe und am Luzerner Kantonsspital genutzt wird, wo Epic gemäss den Darstellungen im Vortrag jeweils ein Erfolg war.
- Epic ist ein Produkt aus den USA und grundsätzlich auf die Prozesse im amerikanischen Gesundheitswesen ausgerichtet. Diese Prozesse unterscheiden sich teils erheblich von den Prozessen in der Schweiz.(5) Um ein KIS effizient nutzen zu können, müssen Prozesse und Software aufeinander abgestimmt sein. Ist dies nicht der Fall, werden sehr aufwändige Anpassungen der Software und/oder der Prozesse nötig, und die Arbeit mit der Software bleibt dennoch ein Murks.(6) Dies führt zu grösserem Zeitaufwand, damit zu tendenziell unsorgfältigem Arbeiten und kann so die Patientensicherheit gefährden.
- Ein KIS verwaltet persönliche Gesundheitsdaten und damit sehr sensible Informationen. Bekanntlich weichen das Verständnis von Datenschutz in der Schweiz (und in Europa) einerseits sowie in den USA andererseits bedeutend voneinander ab. Der Quellcode von Epic ist proprietär und nicht offengelegt, die genaue Nutzung der Daten kann daher von Seiten der Berner Spitäler nicht überprüft werden. Die amerikanische Gesetzgebung ermöglicht den US-Behörden unter bestimmten Umständen den Zugriff auf Daten, die von amerikanischen Softwareanbietern gespeichert werden. Mit der Nutzung eines amerikanischen KIS gehen aus diesen Gründen erhöhte Datenschutzrisiken in einem sehr sensiblen Bereich und generell eine grosse Abhängigkeit von den USA einher. Der Plan, mittelfristig sämtliche Gesundheitsdaten des Kantons Bern einem amerikanischen Anbieter anzuvertrauen, ist daher zu hinterfragen. Im Vortrag zur Vernehmlassungsvorlage delegiert der Regierungsrat die Zuständigkeit für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben schlicht an die Insel Gruppe.
Aus diesen Gründen verlangt die vorliegende Motion vom Regierungsrat, dass er den Systementscheid vorderhand offenhält – und dies nicht nur theoretisch, sondern de facto. Es kann nicht sein, dass der (finanzpolitische und organisatorische) «Point of no Return» bereits vor den Entscheiden des Grossen Rates überschritten ist. Die Erfahrung – auch im Kanton Bern – zeigt, dass bei grossen Informatik-Vorhaben die Gefahr von Fehlinvestitionen, Sackgassen, massiv ausufernden Kosten(7) bei letztlich doch unbefriedigendem Ergebnis, Klumpenrisiken sowie Vendor-Lock-in- und Too-big-to-fail-Problemen(8) gross ist. Aus dem Umstand, dass die Insel Gruppe sich für Epic entschieden hat, folgt nicht, dass Epic die geeignetste Grundlage für die digitale Gesundheitsplattform im Kanton Bern ist. Ebenso wenig folgt daraus, dass alle Leistungserbringer dieselbe Software benutzen müssen. Eine digitale Gesundheitsplattform kann auch nur (offene) Datenformate und Schnittstellen für den Datenaustausch festlegen.
Im Weiteren fehlen in der Vernehmlassungsversion des Vortrags zur Revision des Spitalversorgungsgesetzes genaue Ausführungen dazu, welche Folgen die Pläne des Regierungsrats zur Einführung einer auf Epic basierenden, von der Insel Gruppe geschaffenen digitalen Gesundheitsplattform auf die anderen Leistungsberbringer im Kanton Bern hätte.
Begründung der Dringlichkeit:
Die Einführung einer digitalen Gesundheitsplattform im Kanton Bern ist ein Projekt mit grossen Chancen, aber auch mit immensen Kostenfolgen und Konsequenzen für das Gesundheitswesen im Kanton Bern und seine Leistungserbringer. Die Vorgaben hinsichtlich der zugrundeliegenden Software spielen dabei eine zentrale Rolle. Der Grosse Rat als finanzkompetentes Organ für die kantonalen Mittel zur Umsetzung des Projekts «Digitale Gesundheitsplattform Kanton Bern» darf daher in Bezug auf die Software nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden – dies unabhängig davon, ob die Software bzw. die Datenformate und Schnittstellen auf Gesetzes-, auf Verordnungsebene oder durch einen einfachen Regierungsbeschluss festgelegt werden.
(1) Unterlagen siehe https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=3a6d4cf0c89643bd805c870b51e5135d.
(2) Dies geht auch daraus hervor, dass das Projekt «Digitale Gesundheitsplattform Kanton Bern» zunächst «Epic as a Service» hiess und somit den Produktnamen schon im Titel trug.
(3) Den Motionären und Motionärinnen ist bewusst, dass neben Epic noch weitere, aber durchaus nicht alle der verfügbaren Klinikinformationssysteme aus den USA stammen. Dies schmälert aber keineswegs die im Folgenden aufgeführten Vorbehalte.
(4) Siehe die Studie «EMR usability and patient safety: a national survey of physicians» von David Schwappach und weiteren, npj Digital Medicine 8, Artikel-nummer 282 (2025), https://www.nature.com/articles/s41746-025-01657-4. Der Vergleich zwischen den Klinikinformationssystemen Epic, KISIM und Phoenix ist in Fig. 3 und dem darauf folgenden Text ausgeführt. Über die Studie wird im vsao Journal berichtet: «KIS-Usability und Patientensicherheit – 1000 Klicks entfernt?», https://www.vsao-journal.ch/de/artikel/kis-usability-und-patientensicherheit-1000-klicks-entfernt.
(5) Beispielsweise kann die Pflege in der Schweiz oft in Teil-Autonomie arbeiten, und ein/-e Assistenzärzt/-in kann auch ohne Visum einer vorgesetzten Person gewisse Tätigkeiten und Verordnungen durchführen. Die Berufsgruppen im Gesundheitswesen der USA sind zum Teil andere als in der Schweiz. Für Leistungserbringer im Schweizer Gesundheitssystem ist zudem wichtig, dass die von ihnen genutzte Software die hiesigen Tarifsysteme (z. B. TARDOC) einbezieht und das Konzept der integrierten Versorgung unterstützt.
(6) Vgl. dazu auch die Studie «Implementing Large-Scale Electronic Health Records: Experiences from implementations of Epic in Denmark and Finland» von Morten Hertzum und weiteren, International Journal of Mecidal Informatics, Volume 167, November 2022, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1386505622001824?via%3Dihub.
(7) Vgl. dazu auch den Medinside-Artikel «Epic für alle öffentlichen Berner Spitäler: ‹Ungeahnte Kosten›», https://www.medinside.ch/epic-fuer-alle-oeffentlichen-berner-spitaeler-%C2%ABungeahnte-kosten%C2%BB-20250813.
(8) Vgl. dazu den Politico-Artikel «Lost in translation: Epic goes to Denmark», https://www.politico.com/story/2019/06/06/epic-denmark-health-1510223.
Titel: Digitale Gesundheitsplattform Kanton Bern: die Wahl der Software muss offenbleiben
Art des Vorstosses: Dringliche überparteiliche Motion
Sprecher: Casimir von Arx
Weiter Urheber:innen (8): Fredy Lindegger (Grüne), Katja Streiff (EVP), Peter Gerber (Die Mitte), Melanie Gasser (GLP), Manuela Kocher Hirt (SP), Andreas Michel (SVP), Samuel Kullmann (EDU), Michael Elsaesser (FDP)
Status der Bearbeitung & version française: siehe Website des Grossen Rates (falls dieser Direktlink nicht mehr funktioniert, bitte direkt auf der Seite des Grossen Rates unter www.gr.be.ch suchen; der Vorstoss trägt in der Systematik des Grossen Rates die Geschäftsnummer «2025.GRPARL.465»)
